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Betret- und begehbare Verglasungen – worin unterscheiden sie sich?

Glasbauteile werden auch für Böden, Balkone, Treppen und Dächer eingesetzt. Bei deren Nutzung und Unterhalt kann es zu schweren Ab- und Durchsturzunfällen kommen, wie die SIGAB-Glasbauexperten aus ihrer Gutachtertätigkeit wissen. Damit solche Horizontalverglasungen richtig geplant werden und sicher sind, erklären die Experten hier ein paar wesentliche Merkmale von betret- und begehbaren Verglasungen.


Im Glasbau kommen Vertikalverglasungen wie Fenster, Glastüren, Glaswände und gläserne Brüstungen am häufigsten zur Anwendung. Verglasungen, die in ihrer Neigung um mehr als 15° von der Vertikalen abweichen, gelten gemäss SIA-Merkblatt 2057 (seit 1. August 2021 gültig) als Horizontalverglasungen. Gewöhnliche Horizontalverglasungen sind normalerweise nicht für den Personenverkehr gedacht. Nebst den nicht-betretbaren Horizontalverglasungen gibt es auch betret-, begeh- und befahrbaren Verglasungen. Dazu sind bereits bei der Planung verschiedene Normen und Richtlinien zu beachten, damit die Sicherheit gewährleistet ist.

Glasbruch vorbeugen
Bei Horizontalverglasungen wird in der Regel davon ausgegangen, dass sich Personen unter der Verglasung aufhalten werden. Für Überkopfverglasungen wird deshalb im Falle eines Glasbruchs eine Resttragfähigkeit (gem. SIA-Merkblatt 2057 und gem. SIGAB-Richtlinie 002) gefordert. Diese soll gewährleisten, dass Personen, die sich unter der Verglasung aufhalten, bei einem Glasbruch ausreichend Zeit haben, sich aus der Gefahrenzone zu begeben, bevor ein Versagen der Verglasung eintritt. Eine einfach verglaste Horizontalverglasung bzw. die unten angeordnete Scheibe eines Isolierglases muss deshalb als Verbund-Sicherheitsglas (VSG) aus Floatglas oder VSG aus teilvorgespanntem Glas (TVG) geplant werden. Die Robustheit eines Tragelements aus VSG wird durch die Anzahl Glasscheiben, deren Dimensionierung und die Glasart beeinflusst. Je grösser die Anzahl der Glasscheiben ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Versagens des Bauteils.

Hingegen kein Sicherheitsglas ist Drahtglas. Das eingebettete Drahtgeflecht hält bei einem Glasbruch die grob brechenden Splitter zwar teilweise zusammen, trotz allem können sie sich aus dem Geflecht lösen und zur Verletzungsgefahr werden. Drahtgläser dürfen deshalb zu keiner Zeit betreten oder begangen werden. Oft aus Drahtglas bestehen ältere Glasdächer bei überdachten Bahnhofshallen. So z. B. auch am Hauptbahnhof Zürich, wo sich vor ein paar Jahren ein tragischer Unfall ereignete, als vier Jugendliche nachts auf das Dach kletterten. Eine Scheibe des Drahtglases brach unter dem Gewicht der jungen Leute. Eine Person stürzte rund 12 Meter in die Tiefe und verstarb noch vor Ort. Zudem löste sich eine Glasscherbe aus dem Drahtgeflecht und verletzte einen der Helfer.

Betretbar für Unterhaltsarbeiten
In Einzelfällen müssen Horizontalverglasungen jedoch kurzzeitig durch geschultes Fachpersonal für Unterhaltsarbeiten betreten werden. Gemäss Norm SIA 261 bzw. SIA-Merkblatt 2057 sind betretbare Verglasungen als «nicht begehbare Dächer» zu verstehen, welche nur für Montage- oder Reinigungsarbeiten betreten werden. Dies können z. B. Glasdächer über Hauseingängen – die nicht auf einer Leiter stehend bewirtschaftet werden können –, Wintergärten oder Gewächshäuser sein. Betretbare Glaskonstruktionen bestehen stets aus VSG. Gegen das Absturzrisiko bei den Unterhaltsarbeiten sind die einschlägigen Vorschriften zu befolgen.

Begeh- und befahrbare Verglasungen
Als begehbare Verglasungen gelten Böden, Treppen, Balkone und ähnliche Glasbauteile, welche gemäss vorgesehener Nutzung durch Personen begangen werden können. Dies können auch begehbare Glasdächer sein. Für begehbare Glasflächen gelten die konstruktiven Vorgaben von horizontalen Verglasungen und es kommen nur Aufbauten mit VSG in Frage. Bei begehbaren Verglasungen aus Mehrfach-Isolierglas ist die obere Schicht in VSG aus Floatglas oder in VSG aus TVG auszuführen. Bei VSG aus drei oder mehr Gläsern kann auch Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) verwendet werden. Die Verglasung muss mit den Auflagerungen so verbunden sein, dass ein selbständiges Verrutschen oder Abheben bei üblicher Nutzung verhindert wird. Bei grosser Beanspruchung der Oberfläche wird der Einsatz einer Verschleissschicht empfohlen.

Bei Verglasungen, welche sich als Bodenglasplatten bzw. Lichtschächte auf einem Pausen- oder Parkplatz befinden, wo auch Personen- und Lieferwagen durchfahren, spricht man von befahrbaren Verglasungen. Dabei sind befahrbare VSG-Aufbauten für Fahrzeuge über 3,5 t nicht zu empfehlen. Zudem sollten keine Kiesplätze, Steingärten usw. in der Nähe einer befahrbaren Verglasung geplant werden. Fahrzeuge mit Steinen in den Reifen erhöhen nämlich das Risiko von Glasbrüchen bei befahrbaren Verglasungen enorm. Befahrbare VSG-Aufbauten sind mit mindestens drei Einzelscheiben auszuführen, wobei das oberste Glas als Deckglas bzw. Verschleissschicht gedacht ist und nicht zum statischen Tragsicherheitsnachweis herangezogen wird. Die befahrene Schicht ist – wie bei begehbaren Verglasungen – in VSG aus Floatglas oder in VSG aus TVG auszuführen. Bei VSG aus vier oder mehr Glasscheiben kann auch ESG verwendet werden.

Rutschhemmung
Ein wesentliches Sicherheitskriterium bei Horizontalverglasungen ist die Rutschhemmung. Unbehandeltes Glas wird leicht rutschig, vor allem wenn Flüssigkeiten oder fetthaltige Materialien darauf gelangen. Bei begeh- und befahrbaren Verglasungen muss deshalb die Rutschsicherheit durch entsprechende Massnahmen gewährleistet sein. Für die Rutschhemmung von Glasböden gelten die gleichen Anforderungen wie für andere Bodenbeläge (Vorgaben gem. BFU-Fachdokumentation 2.032, Norm DIN 51130 und 51097). Um die Rutschhemmung von Glasbauteilen zu verbessern, eignen sich verschiedene Verfahren der Oberflächenbehandlung, z. B. Ätzung, Aufrauen durch Sandstrahlung, Siebdruck bzw. Emaillierung sowie Laserstrukturierung.

Wichtige Normen und Richtlinien:


Bild: Bahnhofsvordächer aus Drahtglas / SIGAB

 

Vordächer an einem Bahnhof