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Ist das Kantenschleifen bei vorgespannten Verbundgläsern zulässig?

Wer bei einem vorgespannten Verbundglas die Kanten bearbeitet, tut das oft mit gemischten Gefühlen. Einerseits weiss der Fachmann / die Fachfrau, dass dies – zumindest bis vor Kurzem – nicht zulässig war. Andererseits sind in der Branche keine Fälle bekannt, bei denen ebendieses Kantenbearbeiten zu einem Sicherheitsproblem geworden wäre.

Die Grundlage zur Zulässigkeit solcher Bearbeitungen findet sich in der Norm EN ISO 12543-5 «Verbund- und Verbundsicherheitsglas: Masse und Kantenbearbeitung». Bis vor der Anpassung im Dezember 2021 hiess es dort lapidar: «Thermisch behandelte Gläser dürfen nach Herstellen des Verbundes nicht gesägt, gebohrt oder kantenbearbeitet werden.» Weiter heisst es dort, dass thermisch vorgespanntes Glas nur vor der thermischen Behandlung bearbeitet werden darf.

Diese Bestimmung wurde nun in der seit Dezember 2021 geltenden Fassung umformuliert:

«Thermisch behandelte Gläser dürfen nach der Verarbeitung zu Verbundglas nicht geschnitten, gesägt oder gebohrt werden. Es gibt jedoch bestimmte Situationen, in denen ein Hersteller bei Verbundglas mit vorgespanntem Glas eine Kantenbearbeitung vornehmen muss. Dies ist nur zulässig, wenn der Hersteller intern nachgewiesen hat, dass die Eigenschaften des ESG, insbesondere die mechanische Festigkeit, auch nach der Kantenbearbeitung erhalten bleiben.»

Die Normkommission hat nun also den Glasverarbeitungsunternehmen ein Türchen geöffnet, vorgespanntes Glas normkonform kantenbearbeiten zu können. Es ist ein «interner» Nachweis für die Eigenschaften nach der Bearbeitung erforderlich, insbesondere für die Festigkeit des ESG. Diese Formulierung wirft Fragen auf: Wie soll dieser «interne» Nachweis aussehen? Wie verhält es sich mit teilvorgespanntem Glas?

Nach Rücksprache mit Vertretern der Branche verzichtet die technische Fachstelle für Glas am Bau SIGAB darauf, ein bestimmtes Verfahren zu empfehlen, mit welchem der besagte Nachweis geführt werden kann. Sie empfiehlt jedoch, den Nachweis – wie immer dieser ausgestaltet ist – auch bei TVG anzuwenden. Auch wenn TVG in diesem Zusammenhang in der neuformulierten Fassung nicht direkt genannt wird, gibt es doch keinen sachlichen Grund, dieses Produkt davon auszunehmen.

Wenn ein Betrieb ein tragfähiges Nachweisverfahren entwickelt hat, besteht die Möglichkeit, für das entsprechende Produkt eine ETB (Europäische Technische Bewertung) zu beantragen. Dies ist eine saubere, allerdings auch aufwändige und teure Lösung.

Nachtrag Februar 2025:

Im obigen Artikel orientierten wir über eine Änderung in der Norm SN EN ISO 12543-5:2021 «Verbund- und Verbundsicherheitsglas: Masse und Kantenbearbeitung» gegenüber der Version 2011. Es ging um die Zulässigkeit der Kantenbearbeitung bei Verbundgläsern aus vorgespanntem Glas. Die ersten beiden Absätze der Ziffer 5.1. der besagten Norm lauten in der Version 2021 folgendermassen:

«Thermisch behandelte Gläser dürfen nach der Verarbeitung zu Verbundglas nicht geschnitten, gesägt oder gebohrt werden. Es gibt jedoch bestimmte Situationen, in denen ein Hersteller bei Verbundglas mit vorgespanntem Glas eine Kantenbearbeitung vornehmen muss. Dies ist nur zulässig, wenn der Hersteller intern nachgewiesen hat, dass die Eigenschaften des ESG, insbesondere die mechanische Festigkeit, auch nach der Kantenbearbeitung erhalten bleiben.»

Inzwischen ist bekannt, dass sich bei dieser Formulierung ein Übersetzungsfehler eingeschlichen hat. Im englischen Original ist im ersten der beiden Absätze von «thermaly treated glasses» die Rede. Dies betrifft die Regel, dass thermisch behandelte Gläser nach der Verarbeitung zu Verbundglas grundsätzlich nicht bearbeitet werden dürfen. Das ist folgerichtig, denn dies gilt auch für die Ausgangsprodukte, nämlich für Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) und teilvorgespanntes Glas (TVG). Diese Vorgabe ist grundsätzlich nach wie vor gültig – allerdings mit der Ausnahme, die im zweiten Absatz festgehalten ist.

Für das Produkt, auf welches sich die Ausnahme bezieht, wird in der englischen Originalversion der Norm der Begriff «heat strengthened glass» verwendet. Dies ist der englische Ausdruck für TVG. ESG wird demgegenüber entweder als «tempered safety glas» oder als «thermaly toughened (safety) glass» bezeichnet. Somit wird in diesem zweiten Absatz die Präzisierung der erwähnten Regel für TVG und nicht für ESG formuliert. Dies ist sinnvoll, denn die Frage betreffend Kantenbearbeitung von Verbundgläsern mit vorgespanntem Glas stellt sich in der Praxis vor allem bei TVG und nicht bei ESG. Gemäss unseren Informationen wurde der Fehler in der konsolidierten Fassung DIN EN ISO 12543-5:2023-12 korrigiert. In der aktuellen Norm SN EN ISO 12543-5:2021 ist dies noch nicht nachgeführt. Das ändert nichts daran, dass der englische Originaltext massgebend ist: Die im zweiten Absatz formulierte Ausnahme bezieht sich demzufolge auf VSG aus TVG und nicht auf VSG aus ESG.

Bilder: SIGAB / SFV

Kantenschleifen bei vorgespannten Verbundgläsern SIGAB SFV ASVP
Kantenschleifen bei vorgespannten Verbundgläsern SIGAB SFV ASVP